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Begrüßungsrede zum 9. November in Dresden

Autorenbild: André LangAndré Lang

Kurze Einführung

Die Gedenkveranstaltung am 9. November fand in Dresden am Alten Leipziger Bahnhof statt und wurde vom Herz statt Hetze e.V. organisiert. Dort wurden Statements der jüdischen Gemeinden und Gebete gesprochen. Anschließend hatte die Synagoge Dresden-Neustadt ihre Tore geöffnet, um gemeinsam dem Datum, den Menschen und deren Bedeutung für uns heute zu gedenken. Gleichzeitig haben wir gefeiert, dass wir durch die unfreiwilligen Opfer unserer Vorfahren heute stärker und lebendiger dastehen, als je. Vor den musikalischen Beiträgen und dem persönlichen Austausch hat Andrè Lang, der für die Veranstaltung bei Herz statt Hetze verantwortlich zeichnete und auch ein Mitglied unserer Gemeinde ist, uns mit folgender Rede begrüßt.

 

Verehrte Anwesende, liebe Freunde, lieber Albrecht Pallas Vizepräsident des Sächsischen Landtages,


Heute, am 9. November, begrüße ich Sie herzlich in den Räumen der Jüdischen Kultusgemeinde Dresden zum zweiten Teil unserer Gedenkveranstaltung anläßlich des Pogroms im Jahr 1938 .


Gestatten Sie mir - bevor unsere Aufmerksamkeit den mitwirkenden Künstlerinnen und Künstlern gilt - noch ein paar persönliche, einleitende Worte an diesem Tag:


Im Zuge der antisemitischen Ausschreitungen in Deutschland, die ihren Beginn am 9. November 1938 nahmen, wurden im gesamten damaligen Reichsgebiet etwa 1.400 Synagogen, 10.000 Geschäfte und Betriebe sowie unzählige Wohnungen, Schulen und Friedhöfe verwüstet. Bei dem bis dahin größten öffentlich inszenierten Pogrom auf deutschem Boden kam es aber nicht nur zur Zerstörung jüdischer Kultur- und Sachwerte. In einer bis zum 16. November andauernden Verhaftungswelle wurden circa 31.000 Jüdinnen und Juden in Konzentrationslager deportiert. Darüber hinaus verloren mehr als 1.000 Jüdinnen und Juden durch Mord, Totschlag, Suizid oder die Folgen von Misshandlung und Inhaftierung ihr Leben.


Zwei Wochen zuvor, am 23.Oktober 1938 erfolgte mit der sogenannten „Polenaktion“ gewissermaßen die „Generalprobe“ für den 9.November. 17.000 , in Deutschland seit vielen Jahren lebenden polnische Jüdinnen und Juden, wurden zwangsdeportiert und nach Polen abgeschoben. Darunter befanden sich auch damals in Dresden lebende polnische Juden. Eine gegenwärtig in der blauenFabrik (Eisenbahner. 1, 01097 Dresden) noch bis Anfang Dezember zu sehende Wanderausstellung, veranschaulicht diese menschliche Tragödie sehr eindrucksvoll.


Auch in Sachsen organisierten NSDAP, SA und SS ab dem Abend des 9. November gewalttätige Mobs, die auf die von Jüdinnen und Juden betriebenen Geschäfte, Praxen, Firmen oder Fabriken losgelassen wurden. An vielen Orten wurden, wie auch in Dresden, die Synagogen zerstört. Gewalt wurde aber auch hier nicht nur gegen Sachen angewandt – immer wieder kam es im Verlauf der Pogrome zu massiven körperlichen Angriffen und Demütigungen.


Und - auch das gehört zur Wahrheit dieser schrecklichen Ereignisse vor 86 Jahren dazu: Die Mehrzahl der Menschen - auch in unserer Stadt - schaute diesem furchtbaren Treiben schweigend - manchmal auch Beifall klatschend - zu und überließ ihre jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger dem Terror der Nazis. Nur wenige leisteten damals Widerstand. Zu ihnen gehörte mein Vater Max Lang, der als junger Kommunist wegen seines Widerstandskampfes gegen den Faschismus von den Nazis zwei Jahr ins Zuchthaus gesteckt wurde.


Nach seiner Entlassung gelang ihm die Flucht nach Manchester, dort begegnete er meiner Jüdischen Mutter Ruth Weisz, die es mit ihren Eltern und Geschwistern noch ins engliche Exil geschafft hatten. Meine Eltern heirateten und dort wurden meine Schwester Barbara und ich geboren. Dresden als damalige Hochburg der Nationalsozialisten in Sachsen, eine Stadt der Täter war trotz alledem die Heimatstadt meines Vaters. Und so kehrten wir - zum großen Unverständnis des überlebenden Teils der jüdischen Familie meiner Mutter - hierher zurück, um ein vom Faschismus befreites Deutschland mit aufzubauen.


Was würden meine Eltern heute sagen, wenn sie erleben müssten, das Rechtsextremismus und Antisemitismus immer mehr zunehmen. Die jüngsten Ereignisse - und wieder in Sachsen - zeigen das. Da wurde erst vor wenigen Tagen eine Terrorgruppe mit dem Namen "Sächsische Separatisten" (Kurzname SS!) durch die Polizei ausgehoben und verhaftet. Unter ihnen waren mehrere AfD Mitglieder und -Mandatsträger.


Und - mal ganz ehrlich: wir müssen nicht mit dem Finger auf das Wahlverhalten der Amerikaner zeigen. Bei uns, im Land der Täter, haben doch erst vor wenigen Wochen bei der Landtagswahl in Sachsen nahezu 30% die AfD und weitere ca. 5% die Freien Sachsen und andere rechtsextreme Parteien gewählt.


Als jüdischer Antifaschist, zu dem ich aus der Geschichte meiner Familie lernend geworden bin, sage ich heute in Richtung des Sächsischen Ministerpräsidenten ganz klar: Mit Faschisten und Rechtsextremisten setzt man sich nicht an einen Tisch - nein, man bekämpft diese mit allen Mitteln, die uns der Rechtssaat und unsere Verfassung zur Verfügung gestellt hat. Und auch das sagt mir die Geschichte meiner Familie: es gilt Widerstand zu leisten.


Vor 15 Jahren stand ich gemeinsam mit vielen jungen Menschen und „Dresden Nazifrei“ auf der Straße und nahezu 10 Jahre haben wir uns mit „Herz statt Hetze“ Pegida und Co. entgegengestellt. Es stimmt mich als heute 78jährigen trotz aller vorhandenen Probleme froh, dass es immer wieder viele junge Menschen waren und sind, die an vorderster Stelle in der Bewegung gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus, stehen. Dafür gilt ihnen mein ganz persönlicher Dank.


Und noch etwas ist mir wichtig zu sagen: Unser Erinnern trifft in diesem Jahr auf die schreckliche Gegenwart des Angriffes der Hamas und Hisbollah mit Unterstützung durch den Iran, auf Israel. Ich sage euch ganz ehrlich : Ich bin kein Freund von Netanyahu und würde ihn - wenn ich ein israelischer Staatsbürger wäre (was ich aber nicht bin), auch nicht wählen. Ich wünsche mir auch Frieden für die Israelis und die Palästinenser. Aber ich wende mich gegen eine heute zu findende verleumderische Umkehr von Opfern zu Tätern. Nicht die Israelis haben an einem Tag, dem 7.Oktober 2023, 1.300 Menschen grausam ermordet und 300 Geisel verschleppt nur weil sie sie für jüdische hielten, sondern diese grausame Tat hat die Hamas begangen.


Für mich als Juden war die Reaktion der deutschen Mehrheitsgesellschaft - auch in unserer Stadt - auf die Ereignisse des 7.Oktober mehr als enttäuschend. Da gab nicht etwa hunderttausende Deutsche, die in Solidarität mit den ermordeten Juden auf die Straße gingen - nein im Gegenteil: Es gab auf deutschen Straßen unter der Flagge Palästinas Beifallsdemos für die Terroristen des 7. Oktober. Wieder einmal hat die Mehrheitsgesellschaft dazu geschwiegen.


Die bedrohliche Lage für uns Jüdinnen und Juden bleibt dabei - auch das gilt es festzustellen - nicht auf den Nahen Osten beschränkt: Überall auf der Welt kommt es vermehrt zu antisemitischen Demonstrationen und Übergriffen. Am heutigen 9. November ist es daher umso wichtiger, sich die Grausamkeiten der Novemberpogrome von 1938 ins Gedächtnis zu rufen und daraus ein entschiedenes Eintreten für das oft proklamierte „Nie wieder“ im Hier und Jetzt abzuleiten.


Dies alles sind Dinge, die mich als Juden an diesem besondern Gedenktag bewegen.


Ich freue mich jetzt sehr, dass die nun folgenden Künstler_innen der Offbeat Cooperative und des Dresdner Kammerchores ihre Bereitschaft erklärt haben, uns mit ihrer Musik diesen Tag zu einem besonderen Erinnerungstag zu machen. Wir laden im Anschluss daran zum individuellen Gedankenaustausch ein. Mein Dank gilt allen, die uns bei der Vorbereitung und Durchführung der heutigen Veranstaltung geholfen haben. Danke an meine Freunde von der Jüdischen Kultusgemeinde für eure Gastfreundschaft und Unterstützung, danke an das Technikteam und herzlichen Dank der Offbeat Cooperative und dem Dresdner Kammerchor für euer eindrucksvolles und bewegendes Programm.


Vielen Dank an euch alle, dass ihr heute bei uns seid!

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