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AutorenbildKai Lautenschläger

Gedanken zu Toldot

Zusammenfassung | פָּרָשַׁת תּוֹלְדוֹת

26. November 2022 – 2. Tischri 5783 6. Wochenabschnitt | Bereschit 25:19-28:9 Esaw und Ja’akows Geburt, ihre Streitigkeiten und das Zerwürfnis werden wiedergegeben. Isa'ak geht nicht nach Ägypten, findet Auseinandersetzungen und Frieden mit Abimelech. Ja’akow vermählt sich nach zweimaligem Segen durch den Vater.

Foto: streitende Schwestern
Foto © Obie Fernandez [Unsplash]

In der Parascha dieser Woche treffen wir mehrere Stammmütter. Rebekka wird große Anerkennung dafür zuteil, dass sie nicht nur ein gerechter Mensch war, sondern dies war, obwohl sie aus einem bösen Volk stammte, von einem bösen Vater erzogen wurde und mit einem bösen Bruder zusammenlebte. In Bereschit 27:13 und 27:42-45 wird erwähnt, dass Rebekka in die prophetischen Fußstapfen von Sarah trat. Und wie bei vielen Müttern in der Thora, war auch ihre Ehe zunächst nicht fruchtbar. Viel später, im 19. Jhdt., vermutete der Malbim aus Polen (Rabbi Meir Leibusch Wisser), dass das Gebären von großartigen und gerechten Menschen (wie in diesem Falle Ja’akow) ein fast unnatürlicher Vorgang sei und deswegen nur mit ausdrücklicher göttlicher Hilfe gelingen könne.


Rebekkas Schwangerschaft wird – das Sagen unsere Weisen – ihr aufgrund ihrer Rechtschaffenheit und ihres Gebets geschenkt. Dennoch leidet sie während Schwangerschaft und Geburt große Qualen. Dem Midrasch zufolge äußerte sie den Gedanken, dass sie nicht hätte schwanger werden wollen, wenn sie gewusst hätte, dass es so schmerzhaft sein würde. Und dann schenkt sie nicht einem, sondern gleich zwei Söhnen das Leben, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Deren Konflikt begann bereits vor der Geburt: wenn der eine oben liegt, muss der andere unten liegen – nur einer kann obsiegen, und gleichzeitig auch keiner. Denn immer ist das Gegenteil mitgedacht. Wir erinnern uns an den Verkauf des Erstgeburtsrechts für den Preis einer Schüssel Linsensuppe. Oder an die Beschreibung, wie Ja’akow sich den Segen seines blinden Vaters erschleicht. Wo Ja’akow schlau ist, wirkt Esaw einfach, wo Esaw stark ist, bedient sich Ja’akow unlauterer Methoden. Wo der eine strategisch denkt, lässt der andere sich von seinen unmittelbaren Bedürfnissen antreiben.



Foto: schwangere Frau
Foto © Camylla Battini [Unsplash]

Nach 20 Jahren wird Rebekka endlich schwanger und dieses Geschenk des Ewigen kommt mit dem scheinbaren Makel, dass nicht nur ein offenbar großer und gerechter Sohn geboren wird. Vielmehr wirkt sein Zwilling oft primitiv und wird als böse beschrieben. In der mündlichen Lehre wird Esaw oft als niederträchtig beschrieben, obwohl er in der Parascha selbst, nicht so dargestellt ist. Die Feindschaft der beiden wird aber auch schon in der Thora deutlich hervorgestellt – symbolisch bereits vor der Geburt: Es wird nämlich auch in einem Midrasch gelehrt, dass Ja’akow, wenn die schwangere Rebekka in die Nähe eines Lehrhauses ging, in ihrem Schoß sehr aktiv wurde und darum kämpfte, herauszukommen. Wenn sie jedoch in die Nähe eines Hauses der Götzenanbetung ging, tat Esaw dasselbe.


Warum dieser Widerspruch? Ist das vielleicht ein literarischer Trick, um die Größe von Ja‘akow noch deutlicher werden zu lassen, in dem ihm Esaw als Gegenteil gegenübergestellt wird? Oder können uns die Konflikte des Brüderpaars auch heute etwas lehren?


Könnte es sich hier um ein immer wieder auftauchendes Thema der Thora handeln? Nämlich die stetige Erinnerung, dass wir Menschen und unsere Geschichte immer sowohl das Gute als auch das Böse in sich tragen und dass kein Mensch davor geschützt ist, Fehler zu machen. Mehr noch: dass es jedem einzelnen von uns manchmal völlig unmöglich ist, zu erkennen was gut und was böse ist? Und dass der Ewige uns nicht geschaffen hat als einen Mensch, der gut IST, sondern vielmehr als einen, der gut SEIN KANN. Wie sollen wir entscheiden, ob der Diebstahl des Segens durch Ja’akow gerechtfertigt war? War es nicht ein böser Trick? Oder haben spätere große Ereignisse dieses Verhalten vorausgesetzt?


Es scheint darauf anzukommen, aus dem, was der Ewige uns an Können und Möglichkeiten mit auf den Weg gegeben hat, das Beste zu machen. Das ist wichtiger, als lediglich alle Möglichkeiten zu haben, sie aber nicht einzusetzen. In diesem Licht leuchtet unsere eigene Verantwortung (für unsere Haltung und unsere Taten) hell auf und kann uns inspirieren der beste Mensch zu sein, der wir sein können. Und wir sollen das möglicherweise tun, ohne das wir heute schon wissen, was gut und was böse ist.


Der Ewige zeigt uns zwei Brüder, die beide offenbar wichtig sind, denn sonst würden sie nicht so intensiv in der Thora behandelt. Und obwohl sie sehr unterschiedlich sind und tausende von Jahren interpretiert wurden, können wir kaum sagen, welche ihrer Taten richtig und welche falsch waren. Heißt das nicht auch, dass jeder von uns die Möglichkeit hat, das richtige und gute zu tun, selbst wenn er es heute noch nicht endgültig erkennen kann. Heißt das nicht auch, dass wir uns bemühen sollten, unsere Aufgabe im Plan des Ewigen zu suchen und alles daran zu setzen, immer wieder kritisch zu prüfen, ob wir noch auf seinen Wegen wandeln?


Foto: Mann sitzt am Meer
Foto © Mori Shani [Unsplash]

Wenn wir das annehmen und in unseren Alltag einpflegen, ist es vielleicht gar nicht mehr so notwendig, Kritik an ungeliebten Brüdern zu üben und deren vermeintliche Schwächen ins Licht zu zerren. Rückblickend verstehen wir, dass Ja’akow als gerechter und großer der Brüder in unsere Geschichte eingegangen ist. Wenn wir uns bemühen, wie er trotz persönlichen Fehlern unsere Aufgabe zu finden und das Gute zu tun, haben wir für die Kritik oder Entwertung der anderen vielleicht auch gar nicht mehr so viel Zeit.


In diesem Sinne wünsche ich Euch und mir nicht nur Schabbat schalom, sondern auch eine freudige, erfolgreiche Suche nach den eigenen Stärken sowie den Gleichmut, Anderen das Gleiche zuzugestehen.


Schabbat schalom

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