Unter den Vereinen mit jüdischem Bezug ist der Gefilte Fest Dresden e.V. einer der jüngeren und dennoch auch einer der mittlerweile bekannteren in Dresden. Beginnen wir mit den Anfängen: 2011 besuchte ich eine Veranstaltung für junge jüdische „Leader“ in Schweden und kam dort mit einer Idee von Michael Leventhal aus London in Kontakt. Er organsierte damals schon seit einem oder zwei Jahren das Gefilte Fest London als ein jüdisches Foodfestival mit Workshops, Seminaren, Lesungen und vielem mehr. Die Idee hat bei mir sofort den Traum ausgelöst, etwas ähnliches auch in Dresden stattfinden zu lassen. Natürlich war der rasch erkennbare Unterschied, dass in London fast so viele Jüdinnen und Juden leben, wie damals in allen deutschen Gemeinden zusammen. Sowohl die Auswahl an Dozentinnen und Dozenten als auch die Zielgruppe waren also zum größten Teil jüdisch. Dahingegen musste ein jüdisches Foodfestival in Dresden Gäste erwarten, die mehrheitlich nicht jüdisch sein würden. Aber gerade das beinhaltete einen weiteren für mich sehr spannenden Aspekt.
Die Idee eines jüdischen Foodfestivals mit der Möglichkeit gemeinsam zu Kochen und zu Essen, zu fachsimpeln und Familiengeschichten auszutauschen eröffnet eine grandiose Gelegenheit. Sie würde ein lebendiges Bild einer lebendigen Kultur in aller lebendigen Vielfalt vermitteln; und zwar in realistischer Weise ganz ohne auf historisches Interesse, Vorkenntnisse oder Betroffenheitsernst angewiesen zu sein. Das Gefilte Fest Dresden (GFD) könnte hier einen sinnlichen Zugang zur jüdischen Kultur eröffnen. Das böte sich auch deshalb schon an, weil Kochen und Essen nicht nur für alle Menschen wichtig ist, sondern besonders im Judentum eine Vielfalt an religiösen und Alltagskonzepten vermittelt. Kein Feiertag bei jüdischen Familien ohne eine ganz spezielle Speise, die natürlich viele Bedeutungen hat – und jede und jeder kennt natürlich die eigentlich wirklich richtige Interpretation. Herrlich! Und lecker!
Damals leitete ich die Jüdische Musik- und Theaterwoche Dresden (JüWo) und fand in deren Umfeld einige Interessierte für meinen Traum aus London und Schweden. Wir machten uns an die Planung und hatten zunächst vor allem Jugendliche, vielleicht Schulklassen aus Dresden und Umgebung als mögliche Zielgruppe im Kopf. Wir erhofften uns einen niedrigschwelligen Anschub für Austausch und Interesse. Durch die Integration in das Programm der JüWo war sowohl eine Plattform für die Öffentlichkeitsarbeit und vor allem ein jährlich wechselndes Thema sichergestellt - und die JüWo empfand uns als Bereicherung.
Im März 2015 war es dann so weit. Wir gründeten mit sieben interessierten Menschen einen Verein, der das Foodfestival tragen und organisieren sollte – den Gefilte Fest Dresden e.V. Zu unserer Freude und Überraschung stießen wir auf ein großes Interesse und viel Hilfsbereitschaft bei allen Anfragen, die wir machten. So zeigte sich von allen Optionen ausgerechnet das Deutsche Hygiene-Museum Dresden (DHMD) sofort bereit, uns Räume für unser Festival zur Verfügung zu stellen. Wir hatten also einen Ritterschlag bekommen, bevor wir überhaupt richtig losgelegt hatten. Das ermutigte uns und wir machten uns daran im Herbst 2015 das allererste Gefilte Fest Dresden zu veranstalten und sogar Michael Leventhal aus London kam zu unserem ersten Foodfestival in Dresden mit seiner Familie. Spoiler-Alert: Es war ein voller Erfolg und auch Michael war begeistert. Die vielen kleinen Missgeschicke der ersten Durchführung konnten alle gelöst werden und unser Weg zu immer mehr Routine und Wissen über die Organisation hatte begonnen. Das DHMD ließ uns mit einem Schmunzeln wissen, dass noch nach drei Tagen Lüften unsere Zutaten eindeutig zu erschnuppern waren ;-)
Eine Frage, ob wir im nächsten Jahr wieder ein GFD veranstalten sollten, hat sich irgendwie nie wirklich gestellt, wir waren alle Feuer und Flamme. Aber gleichzeitig war klar geworden, dass wir mit sieben Mitgliedern eine so große Veranstaltung nicht erneut stemmen können würden. Wir mussten und konnten uns ab 2016 auf eine Vielzahl von Freundinnen und Freunden, helfenden Händen, guten Seelen und Fans verlassen. Anfangs noch mit Unterstützung der JüWo und dann immer mehr aus eigener Kraft. Schon 2017 war klar, dass wir eine kleine Tradition begonnen hatten und es schon nach drei Jahren nicht wenige Menschen gab, die ein Fehlen des GFD in der JüWo sofort beklagt hätten. Wir merkten auch, dass unsere ursprüngliche Wunschzielgruppe nicht so leicht erreichbar war, wie wir uns das vorgestellt hatten. Es begann schon damit, dass Schulen – aus versicherungstechnischen Gründen – keine Exkursionen am Sonntag machen, wenn es nur der Initiative einer einzelnen Lehrkraft nachkäme.
Schon Anfang 2016 kam ich in Berührung mit einer weiteren Idee, die mich sofort begeisterte. Diesmal kam sie aus meiner eigenen Heimat Mailand und stammte von Miriam Camerini. Sie bot ein gutes Abendessen in einem Restaurant mit kulturellen Beiträgen und religiösen Erläuterung zur Feier des Schabbatbeginns an. Der Schabbateingang ist die möglicherweise am meisten ikonografische aller Familienfeiern in jüdischen Familien und mischt gegenseitige Bereicherung, Freude, Entspannung, kurz lebendiges Zusammensein. Wir schufen also den »Besonderen Schabbat«, der fortan am Freitagabend vor dem GFD stattfinden sollte. Dafür luden wird einen oder mehrere Köchinnen und Köche ein (Italien, England, Israel etc.), die mit Köchinnen und Köchen aus Dresden gemeinsam ein edles Mahl für uns und unsere Gäste zubereiteten. Die kulinarische Völkerverständigung in der Küche war uns auch ein großes Anliegen. Die Feier wurde dann mit den rituellen Segen und Liedern durchgeführt und mit Musik oder Lesungen umrahmt. Es sollte sich ein wunderbarer, familiärer Rahmen ergeben, in dem jüdisch sein oder nicht keine Rolle für den gemeinsamen Genuss spielten und Fragen und Antworten nur so um die Wette flogen.
Beide Veranstaltungen - das GFD und der Besondere Schabbat - wurden sofort zu alljährlichen Veranstaltungen und wir durften uns glücklich schätzen, dass sie immer ausverkauft waren. Über die Jahre haben wir immer wieder weiterentwickelt, neue Dinge ausprobiert und andere verworfen. In der Zwischenzeit haben sich viele andere Anfragen zu einmaligen oder wiederkehrenden festen Terminen in unserem Jahreskalender gemausert. Und jetzt, nach mehr als sieben Jahren, rückt auch die ursprüngliche Vision, Jugendliche zu erreichen wieder mehr ins Zentrum. Immer öfter beteiligen wir uns mit Workshops oder Ständen erfolgreich bei Veranstaltungen, zu denen ein junges Publikum erscheint. So schließt sich einer von vielen Kreisen und spornt uns an, weiter daran festzuhalten, jüdisches Leben, unsere Kultur, unsere Bräuche und unsere Realität durch gemeinsames sinnliches Erleben, gemeinsames Kochen, Speisen kosten und Rezepte austauschen zu vermitteln. 2011, zur Zeit der ersten Ideen, hatte ich mir genau dies erträumt, aber jetzt bin ich sehr dankbar, dass viele Details der damaligen Träume wahr geworden sind; mit der Hilfe der Vereinsmitglieder, der JüWo und vieler, vieler engagierter, freiwilliger und kompetenter helfenden Hände.
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