Am 28. Januar wurde es vorübergehend laut in der Synagoge Dresden-Neustadt. Mitglieder und Freunde der Jüdischen Kultusgemeinde hatten zu einem Treffen von Liedermachern eingeladen. Laien- und Profimusiker aus Mexiko, den Niederlanden, Israel und Deutschland sangen bekannte und weniger bekannte traditionelle Lieder sowie Eigenkompositionen, begleitet von Gitarre oder Ukulele und teilweise mit elektronischer Unterstützung. Selbstgebackener Kuchen und Getränke sorgten zusätzlich für eine entspannte Atmosphäre. Organisiert wurde die Veranstaltung von den Musikerinnen und dem Dresdner Synagogalchor e.V..
Moshe Barnett, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, hatte die Synagoge gern zur Verfügung gestellt.
Im Publikum: Dresdner Juden und Nichtjuden, Mitglieder, Freunde und Freunde der Freunde der jüdischen Kultusgemeinde, Dresdner und Neu-Dresdner aus verschiedenen Ländern.
Mich hat diese Veranstaltung sehr bewegt. Denn das letzte Mal habe ich so etwas vor mehr als fünfzig Jahren erlebt. Es war die Zeit der Singebewegung in der DDR: Der Kanadier Perry Friedman (1935-1995) organisierte Anfang der 1960er Jahre in Ost-Berlin Hootenanny-Veranstaltungen nach dem Vorbild von Pete Seeger. Dabei wurden Volkslieder und politische Lieder von Amateur- und Profimusikern vorgetragen und oft gemeinsam mit dem Publikum gesungen. Zu den Mitwirkenden der ersten Veranstaltungen gehörten professionelle Künstler wie die in Berlin lebende Holländerin Lin Jaldati, eine Auschwitz-Überlebende und jiddische Sängerin, und Gerry Wolff, ein jüdischer Emigrant, der aus dem englischen Exil nach Deutschland zurückgekehrt war. Später waren es vor allem Amateure wie ich. Die Lieder spiegelten die Zeit der Ost-West-Konfrontation im Kalten Krieg, den Vietnamkrieg und das atomare Wettrüsten wider. Aber auch die Überzeugung, dass der Sozialismus überall auf der Welt siegen wird. Neben Volksliedern sangen wir Solidaritätslieder der antikolonialen Bewegungen oder Lieder vom Kampf gegen den Faschismus. Das war etwa 20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust.
Zurück zu den Sängern vor dem Toraschrein, ein halbes Jahrhundert später. Wir leben in einer anderen Zeit. Die Lieder, die hier vorgetragen wurden, waren über die Familie tradierte Lieder, sie schilderten eigene Erlebnisse oder stammten aus dem Repertoire international bekannter Folk Singer. Sie waren jedenfalls nicht vordergründig politisch. Aber genau das scheint der Geist der Zeit gewesen zu sein: In der Zeit der offensiven und lautstarken Atomkraftgegner oder der aufkommenden Umweltbewegung gab es viele Lieder, die soziales Engagement zum Ausdruck brachten. Ich denke da an Hannes Wader, Fasia Hansen, Dieter Süverkrüp, Konstantin Wecker, Bettina Wegner und viele andere. Diese Entwicklung scheint ein halbes Jahrhundert später abgebrochen zu sein. Wo ist eine Liedermacherbewegung, die auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen reagiert? Auf den Krieg in der Ukraine, auf die AfD, auf militante Anti-Israel-Demonstrationen?
Auch wenn es den Akteuren vielleicht nicht bewusst war, hatte das Singer-Songwriter-Treffen für mich auch eine symbolische Bedeutung: Gemeinsames Musizieren von Juden und Nichtjuden, nicht in einem arrangierten Konzert, sondern „locker vom Hocker“, noch dazu in einer Synagoge, vor und mit einem ebenso gemischten Publikum, ganz ohne politische Reden: Von solchen Veranstaltungen wünsche ich mir mehr.
Eine Verantwortliche erzählte mir, dass das nächste Treffen der Liedermacher bald stattfinden wird. Darauf freue ich mich!
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