Was ist Faschismus und warum ist das wichtig
- Kai Lautenschläger
- 1. März
- 5 Min. Lesezeit
Die politischen Begebenheiten in Deutschland sind – das haben die Bundestagswahlen nochmal deutlich vor Augen geführt – sehr stark von radikalen Positionen und eine Infragestellung unseres politischen Systems insgesamt geprägt. Wir befinden uns in Deutschland damit in der Gesellschaft vieler anderer Staaten. Eine solche Position der Überprüfung und möglicher Anpassung politischer Systeme ist immer auch ein Prüfstein für System und Gesellschaften gleichermaßen. Die wesentliche Frage ist oft – sowohl objektiv als auch im Bedürfnis der Menschen – ob Grundlagen des politischen oder wirtschaftlichen Systems verändert oder abgeschafft werden. Politisch interessierte Menschen diskutieren gerne und häufig auch über solche grundsätzlichen Änderungen, ohne dass das notwendigerweise Folgen hat. Wenn aber der gesellschaftliche Diskurs insgesamt die gemeinsamen Grundwerte in Frage stellt, dann stehen tiefe Eingriffe für die Gemeinschaft bevor. Wir wünschen uns alle, dass solche Richtungswechsel nicht nur gut überlegt und durchdacht sein sollen, sondern auch der Nachhaltigkeit mehr verpflichtet, als aktuellen Moden. Das deutsche Grundgesetz hat uns zum Beispiel bereits eine lange Zeit durch unterschiedlichste Moden in seiner Weitsichtigkeit über verschiedenste politische Phasen, Konflikte und Moden hinweg getragen und geeint. An jede grundsätzliche Änderung unserer Ausrichtung als Gesellschaft (hier ist nicht die Rede von politischen Alltagsentscheidungen), müssen wir mindestens genauso hohe Erwartungen stellen, wie das deutsche Grundgesetz heute erfüllt; Wenn wir uns verbessern wollen, sogar noch höhere.

Eine Möglichkeit die Qualität von Diskursen, Einigungsprozessen, Streit und Änderung, Plänen und Entscheidungen zu verbessern, ist der Einsatz von Sachinformationen. Obwohl in der Umgangssprache der Begriff „Sachinformation“ im Bereich von Politik und Gesellschaftsphänomen scheinbar schwierig zu definieren ist, bieten uns die Gesellschaftswissenschaften viele Optionen, diese Unsicherheiten (z.B. durch unterschiedliche Quellen, verschiedene Interpretationen, ideologisches Denken etc.) zu integrieren. Dadurch entstehen ausgewogene sachliche Informationen, die wir dann in unser Denken und Diskutieren einbauen können.
Nicht erst seit der Wahl, sondern schon seit vielen Jahren sehen wir uns in mit alten und neuen faschistischen Denkansätzen und Zielen im derzeitigen Diskurs um unsere Grundwerte. Da Faschismus nach unseren Gesetzen keine Meinung, sondern ein Unrecht (und bestimmte Äußerungen auch eine Straftat) darstellen, ist es wichtig, dass diese Ansätze in unserem Gesellschaftsdiskurs schnell erkannt und radikal bekämpft werden. Denn der großartige Vorteil unseres politischen Systems ist ja, dass Änderungswünsche nicht von außerhalb des Systems stattfinden müssen, sondern dass Demokratie allen die Möglichkeit geben deren Flexibilität zu nutzen und unsere gemeinsamen Werte weiterzuentwickeln – nur eben nicht durch Abschaffung dieser Flexibilität (=Demokratie).
Lass uns also gemeinsam erkunden, was Faschismus ist und wie er erkannt werden kann.
Es gibt verschiedene Definitionen für Faschismus, die je nach disziplinärem Ansatz variieren. Die wichtigsten politischen, soziologischen, literarischen und wissenschaftlichen Definitionen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Politische Definitionen
Giovanni Gentile (Philosoph, Vordenker des italienischen Faschismus):
Faschismus ist eine autoritäre, nationalistische Bewegung, die den Staat als höchste Form der Einheit versteht. Der Einzelne existiert nur in seiner Beziehung zum Staat.
Quelle: Gentile, "The Doctrine of Fascism" (1932, mit Benito Mussolini).
Umberto Eco (Schriftsteller und Philosoph):
Eco beschreibt Faschismus als "Ur-Faschismus" mit Merkmalen wie Kult um Tradition, Ablehnung von Modernismus, Anti-Intellektualismus, Militarismus, Elitedenken und die Dämonisierung von Abweichlern.
Quelle: Umberto Eco, "Der ewige Faschismus" (1995).
Soziologische Definitionen
Robert O. Paxton (Historiker):
Faschismus ist eine Form politischen Verhaltens, die durch obsessive Beschäftigung mit dem Verfall einer Gemeinschaft und eine kompromisslose Verherrlichung von Einheit, Stärke und Reinheit gekennzeichnet ist.
Quelle: Paxton, "The Anatomy of Fascism" (2004).
Roger Griffin (Historiker):
Faschismus ist eine politische Ideologie, deren Kern in einem populistischen Ultra-Nationalismus liegt, der auf die nationale Wiedergeburt abzielt.
Quelle: Griffin, "The Nature of Fascism" (1991).
Wissenschaftliche Definitionen
Stanley G. Payne (Historiker):
Faschismus vereint ideologische Elemente wie Anti-Liberalismus, Anti-Kommunismus, Anti-Demokratie, revolutionären Nationalismus und einen Führerkult, der auf Mobilisierung und Gewalt basiert.
Quelle: Payne, "A History of Fascism, 1914–1945" (1995).
Hannah Arendt (Philosophin):
Faschismus ist eine totalitäre Bewegung, die Massenmobilisierung und Propaganda nutzt, um eine homogene Gesellschaft unter autoritärer Herrschaft zu schaffen.
Quelle: Arendt, "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" (1951).
Literarische Perspektiven
George Orwell (Schriftsteller):
Orwell beschreibt Faschismus als ungenauen Begriff, der oft synonym mit Unterdrückung und autoritärem Verhalten verwendet wird, ohne klar definiert zu sein. Dennoch steht für ihn der Kult um den Führer im Zentrum.
Quelle: Orwell, "What is Fascism?" (1944).
Literarische Werke (z. B. Elio Vittorini):
In Romanen und Gedichten wird Faschismus oft als eine dystopische Ideologie dargestellt, die individuelle Freiheit unterdrückt und eine kollektive Identität erzwingt.
Gemeinsame Merkmale der Definitionen:
Autoritarismus: Ablehnung von Demokratie, starke Zentralisierung der Macht.
Nationalismus: Überbetonung der Nation als höchste Identität.
Gewalt und Kontrolle: Einsatz von Repression gegen Andersdenkende.
Führerkult: Ein einzelner Führer symbolisiert die Einheit und Stärke der Bewegung.
Ideologischer Kern: Glaube an eine nationale Wiedergeburt und Ablehnung von Individualismus.
Lass uns ein Beispiel dieser Definitionen gemeinsam genauer betrachten. Nehmen wir uns Umbertos Ecos „ewigen Faschismus“ vor, weil sein Essay zu diesem Thema überschaubar und dennoch umfassend, durchdacht und dennoch praktisch anwendbar erscheint. Zunächst eine kurze Erklärung seiner Gedanken
Umberto Eco beschreibt in seinem Essay "Der ewige Faschismus" (1995) 14 grundlegende Merkmale, die den sogenannten "Ur-Faschismus" oder "ewigen Faschismus" kennzeichnen. Diese Merkmale sind keine strikte Definition, sondern flexible Eigenschaften, die in unterschiedlichen Kombinationen auftreten können. Sie bieten ein Werkzeug, um autoritäre Tendenzen in politischen Bewegungen zu erkennen. Die Merkmale sind im Einzelnen die folgenden:
Kult der Tradition | Faschistische Ideologien berufen sich auf eine mythische Vergangenheit, die als Grundlage für die Gegenwart und Zukunft dient. Sie verwehren sich gegenüber dem Fortschritt und betrachten die Tradition als unumstößlich.
Ablehnung der Moderne | Der Faschismus sieht die Moderne, insbesondere die Aufklärung und ihre Werte, als Quelle des moralischen Verfalls und als Bedrohung für die Gesellschaft. Fortschritt und Rationalität werden abgelehnt.
Kult der Handlung um der Handlung willen | Handeln wird als Selbstzweck betrachtet. Reflexion und intellektuelle Diskussionen gelten als Schwäche, während impulsives Handeln als Tugend angesehen wird.
Ablehnung von Kritik | Faschistische Systeme lehnen jegliche Form von kritischem Denken ab, da es als subversiv und unpatriotisch angesehen wird. Der Glaube wird über die Vernunft gestellt.
Angst vor Unterschiedlichkeit | Der Faschismus propagiert eine homogene Gesellschaft und betrachtet Unterschiede (kulturell, ethnisch, sexuell oder sozial) als Bedrohung für die Einheit der Nation.
Appell an Frustration | Faschistische Bewegungen richten sich häufig an Menschen, die sich von der Gesellschaft benachteiligt fühlen. Sie bieten einfache Lösungen für komplexe Probleme und schüren Ressentiments
Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit | Der Faschismus sieht die eigene Nation als überlegen an und äußert sich in Feindseligkeit gegenüber Fremden, Migranten und Minderheiten.
Feindbild und Verschwörung | Ein zentrales Element des Faschismus ist die Konstruktion eines gemeinsamen Feindes, der für alle Probleme verantwortlich gemacht wird. Verschwörungstheorien sind ein Mittel, um dieses Narrativ zu stärken.
Leben als ständiger Kampf | Das Leben wird als dauerhafter Kampf betrachtet, der Stärke, Mut und Opferbereitschaft erfordert. Frieden und Diplomatie gelten als Schwäche.
Verachtung der Schwachen | Faschismus glorifiziert Stärke, Erfolg und Macht, während Schwäche und Versagen verachtet werden. Dies spiegelt sich oft in der Ausgrenzung von Minderheiten und Behinderten wider.
Führerkult | Ein starker und charismatischer Führer wird als Verkörperung der Nation angesehen. Er wird über jeden Zweifel erhaben dargestellt und seine Entscheidungen gelten als unfehlbar.
Männlichkeitskult | Der Faschismus verherrlicht traditionelle Vorstellungen von Männlichkeit, wie Mut, Stärke und Disziplin, während Frauen oft auf ihre Rolle als Gebärende und Dienende reduziert werden.
Selektiver Populismus | Faschistische Systeme propagieren einen „Volkswillen“, der direkt durch den Führer vertreten wird. In Wirklichkeit wird das Volk jedoch manipuliert und Meinungspluralismus ausgeschlossen.
Sprache der Nachrichten und Propaganda | Der Faschismus bedient sich einer vereinfachten und emotionalen Sprache. Wiederholungen, Schlagworte und Slogans sollen die Masse mobilisieren und kritisches Denken verhindern.
Eco betont, dass nicht alle 14 Punkte gleichzeitig auftreten müssen, um eine Bewegung als faschistisch zu bezeichnen. Der "Ur-Faschismus" bleibt flexibel und kann sich an unterschiedliche Kontexte anpassen. Seine Merkmale helfen jedoch, autoritäre und gefährliche Ideologien frühzeitig zu erkennen.
Es ist wichtig, diese oder andere Definitionen zu kennen, um schädliche Ansätze in der Diskussion um unsere Werte (in Familie bis zur Gesamtgesellschaft) bei uns selbst und anderen zu erkennen. Nur dann können wir unsere gemeinsamen Bemühungen gesund halten und dazu beitragen, dass wir letztendlich zu einem gesamtgesellschaftlich tragfähigen Ergebnis gelangen. Faschistische Ansätze sind dabei nicht nur keine Hilfe, sondern die Pilzspore die jeden gesellschaftlich ausgehandelten Kompromiss von vorneherein vergiftet und somit jeder Nachhaltigkeit beraubt.
Kommentarer